happening ist eine ins museum nicht passende form

 

1st of May in Berlin

PRACHT UND ELEND DER ILLUSION


Traditon ist wichtig, aber es ist besser sie sich selbst anzupassen statt umgekehrt. Ich möchte auch, dass die Kanone auf Grič lauter donnert, weil sie in meiner Strasse überhaupt nicht mehr zu hören ist, geschweige im neuen Teil Zagrebs. Aus so einem Grund wollte ich auch an den Demonstrationen in Berlin teilnehmen, an der populärsten von den stierlosen Veranstaltungen. Mich interessierte wie die Stadt, die sich freiwillig schon 35 Jahre lang zerstört, aussieht. Ich sage auch oft zu mir selbst: »Gestern habe ich mich total zerstört.« Dieses Zerstören ist so bezaubernd, dass, es ist mir ganz klar, ohne es Berlin nicht mehr Berlin sein würde. Es dringt unter die Haut, es wird zu Tradition, Folklor – oder sogar eine Art Folklorveranstaltung, für die unsere Zagreber Version noch immer ein Säugling ist. Um ganz ehrlich zu sein, ich wollte Berlin besuchen, weil schon alle da waren. Noch eine fremde Traditon mit Hauptrolle in meinem Leben, noch eine Tradition, die ich mir selbst anpasse. Schon ganz am Anfang gab es Probleme, weil es sich herausstellte, dass die Erwärmung schon ein Tag zuvor began und zwar an Hexennacht. Und gleich kommen die Fragen: Warum die Hexen? Wer oder was sind diese Hexen? Wer ist eigentlich wer hier und wer ist gegen wen? Also, Komplikationen schon am Anfang, das Ende möchte ich mich überhaupt nicht vorstellen, und die Mitte? Das werden wir sehen.
Und die Mitte der Berliner Mitte ist das Brandenburger Tor. Oben ein Viergespann aus Bronze und vor dem Tor, in origineller Offiziersuniform eines Sovieten sitzt ein Typ und schon auf den ersten Blick sieht man, dass er ein Inder ist. Mit einem Pappkarton vor sich drückt er Originalstempel der ehemaligen Republik und verkauft DDR-Visen für 2 Euro. Er heuchelt die Grenze, die nicht mehr da ist, wie die Grič Kanone für die Zagreber Mittag heuchelt, obwohl sie nur zehn Prozent der Bevölkerung wirklich hört.
Dieser Inder will mit seiner Performance sagen, dass Illusionen Entitäten sind, auch wie Entitäten Illusionen. Er macht mit Illusionen Spass, aber auch echtes Geld. Doch Spielen mit Illusionen kann auch schlecht enden. So haben, sehr rücksichtslos, viele Touristen (Juden und Amerikaner, die an der Grenze mit Mexico leben) Stücke Berliner Mauer mit sich nach Hause genommen und daraus haben sich neue Berliner Mauer entwickelt, wie aus Stammzellen. Sie haben den Fehler des DDR-Parteisekretärs wiederholt, der von seiner Reise nach China ein Stück Chinesischer Mauer zurück in die geteilte Stadt Berlin gebracht hat. Und diese Chinesische Mauer ist eine Illusion, die sogar vom Mond aus, aber nicht aus Israel zu sehen ist. Leute lieben Illusionen, sie können ohne sie nicht leben.
Ich kaufe vom Inder die Visa, als ob ich ohne sie durch das Brandenburger Tor nicht gehen darf, und das darf ich, natürlich. Was für ein Spiel spiele ich mit mir selbst, wenn ich gerade lerne, dass man ohne Grenzen leben soll?
Ein deutsches Kind neben mir staunt.
»Wofür brauchst du das?« fragt er.
»Hör mal, obwohl die Grenze nicht mehr da ist, errinert man sich...«
»Woher kommst du?«
»Aus Kroatien... Weiβ du wo das ist?«
» Ich habe von Kroatien nicht gehört, ich habe von keinem Land gehört....dass würde dann bedeuten, dass ich in meinem Leben Grenzen brauche...« antwortet er scharf.
Der Junge ist ganz seriös, mir ist das alles lächerlich und der Inder ist zufrieden – am schönsten ist es, an fremden Illusionen Geld zu verdienen. Dieser Inder spielt in seiner künstlerischen Marketingperformance mit einer ins Museum nicht passenden Form, und zwar in Berlin, der Stadt der modernen Kunst. Solche Inder sind für Berlin ein grosser Vorteil, auch wie diese Demonstrationen. Demonstrationen sind in Berlin eine Art Wirtschaftstätigkeit. Der Kapitalismus ist verdammt dialektisch – er macht jeden Nachteil zu Vorteil.

Den ganzen Tag wandere ich mit dem Fotografen durch die Stadt und hoffe, dass was dramatisches passiert oder ich habe keine Reportage. Hoffentlich werde ich nicht von dem sonningen Berlin schreiben müssen, von den energetischen Forderungen der Syndikate oder von den schwullen Erbsen, die nichts mit den Zagreber Erstmai-Macho-Bohnen aus Maksimir zu tun haben. Doch am Ende furzt man von den beiden gleich. Bejahrte Aktivistinnen der marksistisch-leninistisch-trockistisch-maoistischen Partei, die sich im Transit aus Revolutionärem zu Bürgerlichem befinden und ideologisch verwirrt sind, können die Reportage nicht retten. Auch die Zuckeräpfel der türkischen Küche, alle Tänzer und DJs, Discokugeln, Reihen von zehn Tausend Leute und hunderte von LKWs, Clowns oder verschiedene Illusionisten, wegen des schönen Wetters raus gelockt, können das nicht. Apsurd sind auch die politischen Reden. Ich verstehe alles, obwohl ich Deutsch nicht kann. Ich weiβ wem die Redner winken, auf wen sie schreien, wem sie mit dem Finger drohen. Das sieht in jeder Sprache gleich aus...: Wir (er schlägt sich an die Brust) scheiβen (winkt mit der Hand) auf sie (zeigt mit dem Finger in die Ferne, unter einem Winkel von 45 Grad), weil sie (zeigt wieder mit dem Finger in die Ferne, unter einem Winkel von 45 Grad) auf uns (schlägt sich wieder an die Brust) seit Ewigkeit scheiβen (winkt wieder mit der Hand)!
Das ist der Kern aller politischen Reden, es dauert ja ewig und drei Tage, sage ich ohne überflüssige Gestikulation. Und es ärgert mich, dass ich mich in diesen Reportagenjournalismus überhaupt eingelassen habe, dass sich der einzige Konflikt in meinem Kopf vollzieht, da es auf der Strasse nichts Interessantes zum Filmen gibt. Wo sind jetzt die schreienden Faschisten, die Polizei, die sie schlägt, Anarchisten oder Liberale, die die Polizisten schlagen, Polizisten, die schwangere Frauen schlagen, schwangere Frauen, die die potenziellen Väter schlagen usw. Ich möchte Chaos, weil Chaos Nachricht ist und Nachrichten will ich. Werde ich aus Berlin nur die Creme für meine Oma nach Hause bringen? Und so geht langsam, aber sicher, der Tag vorbei...

MÜNCHNER VOYEURE. HAMBURGER FISCHER. BREMER HARMONIKER

Die Touristengemeinschaft Berlins wird kündigen müssen und individuelle Verantwortlichkeit feststellen, falls sich dieses von Demonstrationen erwartete Chaos nicht realisiert. Die Verantwortlichkeit ist immer individuell, so sagt mindestens unser Präsident. Und Berlin ist auf der europäischen Karte der Veranstaltungen und Manifestationen als Hauptort fürs Finale eingezeichnet. Er ist der Ort jährliches Ritualkampfes und der symbolischen Rache an der Polizei, für das was sie den Arbeitern in Chicago vor 120 Jahren getan hat. Und die Rollen sind auch verwechselt. In Chicago haben die Arbeiter still protestiert und die Polizei war ganz wild. In Berlin, so bin ich gesagt, demonstriert die Polizei ruhig ihre Macht und die Demonstranten machen alles kaputt. Und deshalb ist der Helm, den mir meine erfahrungsvolle Kollegen in den Ranzen drängen, auch Teil dieser Ikonographie. Mir ist meine Frisur wichtiger.
Ich stehe auf einem Platz in X-berg, ich weiss nicht mehr in welchem, alles ist durcheinander. Rund um mir vier Truppen Polizisten. Sogar nicht Truppen – ganze Batallione! Blaue, olivengrüne, grünolive mit weiβen Helmen und dem Habsburger Wappen. Wie Robocoper gerüstet, sie halten sich fest zusammen und wenn einer fällt müssen ihm mindestens drei beim Aufstehen helfen. Aufstehen bekommt hier eine ganz andere Assoziation. Ich kann ihre Anzahl nicht schätzen. Aus jedem leichten Nebel taucht ein Batallion auf. Ich weiβ nicht wie es den Berlinern geht, sie sehen brav aus, aber es ist eine ganz merkwürdige Szene - die bis dann ziemlich unsichtbare Polizei steht jetzt auf jeder Ecke. Die Deutscher kontaktieren nicht so oft mit der Polizei wie wir, sie halten die Leute nicht ständig auf mit: „Guten Abend. Wir möchten Sie kennenlernen, wir bitten um Ihre Dokumente.“ Niemandem, sogar nicht ihnen selbst, sind die Kriterien nach denen sie Leute wählen bekannt. Sie halten nicht jeden auf, sondern nur einige, nach der Methode des zufälligen Auswahls oder nur preventiv. Deshalb waren mir hier in Berlin die blauen am liebsten – die Bundespolizisten. Sie ähnelten den Zagreber Polizisten und ich began mit ihnen spontan Kroatisch zu sprechen. Doch sie antworteten auf Deutsch. Das ist also keine internationale Polizistenverschwörung, sondern ihr deutsches Spiel, zum heimischen Gebrauch. Von allen Seiten sind sie gekommen. Sie freuen sich an die Demonstrationen mehr als Demonstranten selbst. Vielleicht halten sie auch eine Konferenz an, wenn sie sich schon gesammelt haben.
Und die Polizei skenniert die ganze Zeit. Jedes Batallion hat seinen eigenen Kameramann. Und sie sind alle verbindet. Sie signalisieren sich gegenseitig. Sie filmen mit ihren Digitalkameras jede kleine Straβe, jede Lücke. Es darf keine toten Winkel sein, da in jeder Ecke eine Gestalt Würfel aus der Straβe reisst. Sie graben und graben. Das ist für jetzt noch nicht gefährlich. Sie reagiren darauf nicht, sie sind keine Wachmänner, sondern echte Polizisten. Aber sie müssen reagieren wenn die Würfel durch die Luft zu fliegen beginnen. Die Werfer werden dann von den Robocopern aus der Masse hinausgerissen und, wie unser Präsident sagt, individuell bestraft. Oder wie ein anderer Präsident sagen würde, individuell loziert, verhaftet und transferiert. Und jetzt wird mir allmälich das alles verdächtig. Niemand kann mich überzeugen, dass Deutschland nicht reich genug ist um Straβen mit Asfalt zu decken und nächstes Jahr keine Probleme mit Würfeln aus Granit zu haben. Aber sie lieben diese Granit-Würfel. Endlich muss man an den Demonstrationen etwas werfen und die Polizei wird den Demonstranten nicht Steine zum Werfen mitbringen. Auf diese Weise vollzieht sich alles ganz spontan. Alles ist also in Deutschland geplant, auch die Spontaneität. Zufall gibt es nicht. Deshalb weiβ meine Oma, dass deutsche antirheumatische Creme die beste ist. Und so war es seit immer.
Ich habe mich aber weiter ganz kindisch benommen und meine ältere Kollegen haben mir geraten: „Pass auf, dass du nicht zwischen zwei Feuer gerätst.“ Und mir war es nicht klar, warum man gerade vor diesem Feuersandwich Furcht haben soll. Und so denke ich darüber nach, als plötzlich ein Stein durch die Luft kommt und in den Kopf des Mädchens neben mir landet. Und die Luft ist gleich voll von Tränengas. Ich ziehe meinen Helm heraus, zum Teufel mit der Frisur. Ich hebe mein Halstuch bis zu den Augen, zum Teufel mit dem Fotografieren. Es gibt viele Blutende, die ins Kebabgeschäfte einfliegen und von den Türken, auch wie die Gäste, Servietten bekommen.
Die Polizei filmt das alles hartnäckig. Filmen sie das für eine Privatkollektion? Um sich prahlen zu können wenn sie nach Hause kommen.
„Wird das alles auf YouTube erscheinen?“ frage ich den olivengrünen Robocoper mit dem Hamburger Wappen. Diese sehen am gefährlichsten aus.
Er benimmt sich, als ob er mich nicht gehört hat.
„Wieviele sind sie?“ möchte ich wissen.
„Das ist nicht zählbar.“
„Und sind Sie gespannt?“
„Natürlich. Ich habe Angst, dass mich jemand verletzen wird. Aber noch mehr fürchte ich, dass ich jemanden verletzen werde.“
Auf dem Rücken hat er eine Art Feuerlöschgerät, das mit einem, Wasserpistolle ähnlichem, Gegenstand verbunden ist. Aber von dieser kleinen Pistolle weint man. Das ist ein Tränengas zu selektiv-individueller Behandlung, auf dem Respekt vor der Dignität eines Individuellen und der Demokratie basiert. Wir, die Unerfahrene, erwarteten Wasserkanonen, weil wir dachten, mit Kanonen verjagt man die Massen, und zwar unselektiv. Aber das sind alte Methoden. Sozialistiche Methoden. Im Geist der Demokratie ist es, so unser Präsident, die Verantwortung zu individualisieren. Deshalb hält sich auch die demokratische Polizei an demokratische Prinzipien und spritzt wie eine Kobra direkt ins Auge... Sie spritzen diejenigen, die ihre Kollegen, Münchner Voyeure, mit Kameras loziert haben. Und noch ein kollektives Phänomen fehlt - niemand trägt das T-Shirt: Wir sind alle....
Und ich begreife dann, dass sie nicht für YouTube oder für eine Privatkollektion filmen, sondern ein Batallion fürs andere. Sie informieren sich gegenseitig welcher von den individuellen Rowdys auf zwei Plätze auf einmal war, wer die Regel verletzt hat, wer zwei Steine statt eins geworfen hat und so weiter. Und dann kommt das nächste Batallion auf ihn zu und sondert ihn von der Masse ab. Unterwegs jagen sie auch das ganze Kollektiv ein bisschen herum. Wenn sie den Armen aus der Gruppe rausgezogen haben, bestrafen sie ihn individuell, wie unser Präsident sagen würde. Das alles ist eine gedrillte Polizeiübung. Nebenbei spielen sie auch ein bisschen Harmonik mit der Masse und pressen sie so zusammen, dass sie Angst bekommen und denken: wir sind fertig... Dann lockern sie wieder den Druck, so dass sie fliegen können. So übereinstimmend arbeiten die Münchner Voyeure, Hamburger Fischer und Bremer Harmoniker.

ANARCHISMUS DER ESTRADE

In dieser internationalen Rollenverteilung muss jemand auch der Demonstrant sein. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn ausdenken.
Demonstranten gehören zu unterschiedlichsten Denominationen: es gibt Anarchisten, Faschisten, Antifaschisten, Punker, Gaynazis, Aktivisten, die Grünen, die Schwarzen, die Blauen, die Leisen, die Lauten, die Groβen, die Kleinen... Und sie haben nur ein Ziel: der Polizei den Kopf zu zerschmetern, als ob sie dadurch den Kapitalismus kastrieren würden. Und der Kapitalismus ist ganz in Panik. Das ist spontan wie eine ein Jahr lang planierte Aktion, originell wie jede Reprise, insofern utopisch als die Adresse ihrer Destruktion abstrakt ist. Und die Demonstranten sind gefährlich wie Zagreber Studenten, wenn sie protestieren. Es dominieren natürlich die Männer, die Anarchosexuellen. Das Motto ist: besser ein Molotowcoctail in der Hand, als eine Taube in der Unterwäsche. Ihr Legitimität kommt aus der kapitalistischen Verfassung und Legalität aus den Parkinson Gesetze. Besonders aus demjenigen, das von Trivialität spricht. Oder demjenigen, das sagt, dass alles was erfunden ist konzumiert werden soll, auch wenn wir nicht wissen wie und warum. Gleiche Situation ist mit dem Molotowcoctail. Der Zweck seines Daseins ist geworfen zu werden. Ich weiβ nicht warum, aber das alles errinert mich an einen Fahrer. Er unterscheidet zwischen dem dummen und dem klugen Hund und zwar auf die folgende Art und Weise – der dumme bellt auf das Rad und der kluge auf den Fahrer. Jetzt klingt alles schon zu seriös und das hier war eigentlich eine Urlaubsreise. Das ist alles nur eine Art Tourismus. Neben dem Gesunds- und Kulturtourismus kommt jetzt auch der politische Tourismus. Man geht ein bisschen demonstrieren und auch beobachten, natürlich. Berlin ist nur auf ersten Blick eine masochistische Stadt. Er opfert sich für das Wohlgehen aller anderen deutschen Städte. Man kommt nach Berlin, in eine fremde Stadt, um Sachen zu machen die zu Hause verboten sind, man ist namenlos, man setzt unbekannte Autos in Brand, zerstört unbekannte Schaufenster... Berlin wird in diesen zwei Tagen zu einem groβen Zerstörzimmer. Man befreit den eigenen Zorn und amüsiert sich selbst und die anderen. Wir sind globalisiert und angeblich ist das alles ein einziger Kampfraum. Alles ist Kapitalismus und woimmer du stöβt, du triffst. Demokratie herrscht auch, so hat jeder bestimmte Rechte. Das alles ist aber eigentlich nur eine Strategie der Berliner Touristengemeinschaft und Bundespolizei.
Am Ende meines Urlaubs, als ich zum Flughafen fuhr, begleitete mich eine groβe Schrift hinaus: Auf Wiedersehen. Bis nächstes Jahr.